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Des Ichs Worte:

ein Jahr nach der Band-werdung

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„Wo Es war, soll Ich werden.”

- Sigmund Freud

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In meinem Debüt „die sich vereinende deckung” sind ungefähr 30 Texte, die ich zwischen 2014 und 2020 schrieb; seit 2014 lebe und studiere ich in München. Außerhalb dieser betitelten Texte, in deren Zeilen sich die Spuren meines Bemühens um ihre Strukturierung verbergen, sind ein paar Fragmente, die ich im ersten Jahr des Lebens an einem mir noch fremden Ort ausdrückte; in jener Zeit hatten sie einem Autor enthüllt, wie sich sein Potenzial stimmlos in ihm entfaltete, und wurden zu den durch Rhetorik in diese Welt eingetretenen Wesen, die ihren Schöpfer umgaben und ihn tagtäglich an ihr Recht erinnerten, dass sie entweder sich in den Fluss der Worte einfügen würden oder vor diesem Fluss flüchten dürften. In dieser Hinsicht fügten sich manche unter ihnen innerhalb der Kraft und des Atems, die und den der Autor ausgab, zu den Szenerien der Worte. (Zum Begriff der Szenerie: Seit 2014 meldet dieser Autor Teile seines Wesens bei einer fremden Sprache an, in der die Situation eines Existierenden und eine unbeständige Hütte am Pfad isomorph seien) Die anderen Fragmente flüchteten vor der Flut der Worte, um die Worte daran zu hindern, mit ihren sporadischen Stillen die Abdrücke zu besetzen, die die alle Menschen enthaltende, größte Situation in Formen von Mängeln und Lücken hinterlassen hatte. (Zum Begriff der Situation: Sandschlösser, Zuhause der Fata Morganen, nur in den Schatten dieser Strukturen wird die Unwahrscheinlichkeit der Entstehung in die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung stets transformiert: Die Vielfältigkeit von Orten und Zeiten, die wir für uns selbst herstellen) Das Leben und das Denken, die Zeit und das Zeitlose, zwischen denen es eine Drehtür geben muss, die einen nie aufhörend aus der Welt in die Welt transponiert – gleich dem ortlosen Ort, Utopia, den Hannah Arendt in The Life of the Mind als Treffpunkt aller Denkenden versteht: „Each new generation, every new human being, as he becomes conscious of being inserted between an infinite past and an infinite future, must discover and ploddingly pave anew the path of thought. (…) [Works have] been born in the small, inconspicuous track of non-time which their authors' thought had beaten between an infinite past and an infinite future by accepting past and future as directed, aimed, as it were, at themselves – as their predecessors and successors, their past and their future – thus establishing a present for themselves, a kind of timeless time in which men are able to create timeless works with which to transcend their own finiteness.” (das eigentliche Subjekt dieser Sätze ist „The Great Works”; da meine Texte nicht großartig sind, muss ich beim Zitieren das Adjektiv wegmachen, trotzdem glaube ich, dass für mein Buch die hier beschriebene Situation eines Werkes doch gilt)

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Veröffentlicht wurde mein Werk, das am Markt seinen eigenen Preis anmeldete, damit die Teile von ihm in den Bereich des Seienden eintraten: wahrgenommen wird das geringe Gewicht eines ortlosen Orts, wenn es sich auf einer Hand entfaltet. Mit ihrem sieben-Jahre-langen Bestehen und Verwesen führten mich meine Worte an einen Ort; wenn ich an diesem Ort verweile, bin ich gleich einem Zugvogel, der auf einer Ahle steht, nachdem er die dinglose Ausdehnung überquert hat: Der gestrige Körper des Monds. Ich. Wie konnte/ ein Ding/ innerhalb der kompakten Dinge Ordnungen/ voll werden,/ dann den ihm gehörenden Verband versammeln,/ gemeinsam dem schwarzen Hochland zusehen? Dem jahrzehntelangen Wunsch gefolgt stellte ein Autor genau an diesem Ort, wo er auf einer Ahle stand, ein Buch her als seine Opfergabe an Simone Weil.

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Manchmal nenne ich mein dieses Buch „die Versammlung von Wörtern” und denke, was die Wörter angeht, so sind sie eigentlich der Gegensatz vom Pneuma. Das Sprechen ist ein Prozess, der das Pneuma stetig in die Wörter transformiert. Versteht man das Pneuma als die allerletzte mögliche Äußerung des Potenzials – d.h. das Selbst, an das man vermissend denkt, wenn man in irgendeiner schlechten Situation ist –, dann ist das Sprechen die allererste gewaltsame Behandlung, die man auf sich selbst anwendete, als man in diese Welt eintrat; indem die im Potenzial enthaltenen anderen Möglichkeiten negiert werden, gibt man sich eine zur Wirklichkeit werdende Form, die man an die Sprache weitergibt; die Sprache ist eigentlich ein Prozess, der das Schreien, das Schweigen und das Stimmlose eines nach dem anderen in die Phoneme und die Seme transformiert, so wie es in der Kauṣītaki Upaniṣad heißt: „Beim Sprechen kann der Mensch nicht atmen; in dieser Zeit opfert er das Atmen den Worten. Beim Atmen kann der Mensch nicht sprechen; in dieser Zeit opfert er die Worte dem Atmen. Egal ob er wach oder schlafend ist, opfert der Mensch immer diese beiden unbegrenzten und unsterblichen Opfer.”

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Dieses Buch ist die Spur meiner Selbstbehandlung, die Form, mit der ich der Sprache mich gab. Als diese Texte bei ihrer Band-werdung eine konkrete materielle Form bekamen, d.h. die Exosomatization eines Selbst, führte ich die Unterscheidung zwischen den Wörtern und dem Pneuma wieder durch, damit ich aus dem Selbst flüchtete, mich zerteilte und versammelte: einmal nahm ich an dieser Versammlung teil, wo ich die umgebene, kurzfristig erscheinende Leere als meine eigentliche Kontur annahm. Bei der Band-werdung meiner Texte gab ich mich einmal dem Pneuma hin, in dessen Bereich ich kurzfristig vollkommen, zerteilt und ohne Gesicht war.

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In meinem ersten Jahr in Deutschland lernte ich Deutsch, um die Deutschprüfung zu bestehen, damit ich an der Universität studieren konnte. Außerhalb der Lehrbücher las ich die Werke Hölderlins, Rilkes, Novalis und Martin Bubers und versuchte, die Wörter zu sammeln, durch die diese mich erschütternden Gedanken in den Bereich des Seienden eintraten. Ein Jahr später, von diesen nachbebenhaften Wörtern umgeben, bestand ich die Prüfung, ab da bleiben meine Deutschkenntnisse stets auf dem Niveau, das für eine Debatte in einem Kurs etwa genügt aber für den Kosmos nicht ausreichend ist. Seit meinem zweiten Jahr in Deutschland versuche ich oft, die Blätter meines Tagebuches und meine Poesie-Übungen ins Deutsche zu übersetzten; ich will bei diesem transformierenden Prozess nach meiner eigenen Kontur in einer Fremdsprache greifen, indem ich die mir affinen Wörter versammle. Im sechsten Jahr sandte ich ein paar Blätter meiner Übung an das Magazin außer.dem und behauptete, dass diese Einsendung den transformierenden Prozess, der nicht ohne Narzissmus war, zum Turing-Test der Poesie sublimieren könnte. Wird es jemanden geben, der in dieser Wörter Ordnungen entweder Gedichte oder die Absicht der poetischen Kommunikation identifiziert? Und wenn es einen gibt, der in dieser Wörter Ordnungen irgendein Gedicht heraussieht, hat dieses Ereignis welchen Sinn in Bezug auf die gesamte Sprache, die immer nach einem sprachlichen Geschehen herkommt, um alle Details der Worte zu assimilieren? Nach einigen Monaten wurden diese Wörter mit ihren eigenen Ordnungen im außer.dem veröffentlicht, sodass ich wagte, noch ein paar an Herrn Kristian Kühn zu schicken. Von da an verweilten sie wie Karmas in der Welt, bis ich eines Tages eine Nachricht von Dincer bekam; er fragte mich, ob ich seinem Verlag ein Manuskript geben möchte. Ich war aber sehr zögernd und antwortete in etwa so: „Ich kann die Gefahr empfinden. Als ein monoseitig Sprechender dieser Sprache bin ich nicht imstande, die Resonanz aus der gesamten Sprache zu vernehmen. Ich bin nicht sicher, welchen Sinn mein Schreiben haben könnte, denn diese Texte sind nur die Spuren meiner Übung, die mir affinen Wörter zu sammeln. Aber ein Gedicht sollte Quasi-Worte sein, die gleich Donner oder Luftwirbel die gesamte Sprache durchdringen und die Resonanz der Wörter auslösen, während sie unvermeidlich von der gesamten Sprache assimiliert werden, wodurch die Sprache eine Veränderung erfährt – innerlich, weil für die Sprache es kein Außen gibt. Ich befinde mich aber nicht innerhalb dieser Szenerie.” In etwa antwortete Dincer mit diesen schlichten Sätzen: „Dies kann niemand alleine beobachten. Die Zeit ist gekommen. Wir können dann zusammen sehen.” Das bewegte mich, daher bin ich in meinem siebten Jahr in Deutschland zum Autor dieses Buches geworden.

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Folgendes könnten in meinem Buch empfundene Themen sein: Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Stille durch den Mystizismus, das Gewahren des Knotens aus schöpfenden und gewaltsamen Kräften durch den Gnostizismus, das dauerhafte Zögern von Menschen an der Straßenmündung mit den drei Gabelungen Wahrheit, Realität und Wirklichkeit. Als das Manuskript fertig formuliert war, hatte ich den Eindruck, dass ich wahrscheinlich in dieser Opfergabe an Simone Weil die Debatte zwischen Philosophie und Rhetorik wiederholte: Im Gorgias bittet Sokrates, das Totem der Philosophie, seinen Sprecher darum, dem Sprecher der Rhetorik die folgende Frage zu stellen: „Frag ihn, wie er sich nennt. … Wenn er ein Hersteller von Schuhen wäre, wäre die angemessene Antwort dieser Frage so, ‚ich bin ein Schuhmacher.’” Und der Sprecher der Rhetorik antwortet: „Ich bin Rhetoriker, weil wir die Worte herstellen, die das Glauben hervorbringen.” Die wesentliche Frage besteht darin, wie wir die begabten Kräfte in uns behandeln; diese Frage ist isomorph mit jener, wie man das täglich auf dem Esstisch erneuerte Anagramm versteht, das aus Schalen, Tellern, Löffeln, Gabeln und Messern entsteht. Die Welt, die Fangeisen, die kurzfristigen Wohnflächen und das Spiel, das auf meine Hand kommt; die uns umgebenden Worte öffnen in ihren Ursprüngen oft ihre Augen und sehen meinem Bewegen und Operieren zu. Wir selbst sind die Werke, die die schöpfende Gewalt in ihrer Selbstbezogenheit, sich operierend, herstellte – in der anthropomorphischen Rhetorik wird Mensch herausgenommen aus Mensch, und die Menschen begegnen einander in der anthropomorphischen Rhetorik; dies wäre das Fundament des Gesetzes und jeglicher Art Situation des Zusammenseins. Wer sieht, dass er oder sie an diesem Bauopfer teilhat, wird das Zusammensein als Spiel betrachten und sich in es begeben, denn wie jeder anderer Mensch gab dieser Mensch ins Innere all der anderen Menschen sein eigenes Stück aus, und er oder sie bewahrt im Inneren die kleinen Stücke, die die Anderen einander ausgaben. Nun, lass mich, wohl nicht ohne Missverständnis, den Aphorismus von Novalis zitieren: „Wir sind auf einer Mißion: zur Bildung der Erde sind wir berufen.” Dieses Berufen sollte die durch unsere Stimmen erfüllten anthropomorphische Rhetorik sein, die daher auch die Gesamtheit unserer begabten Gewalten wäre. Dass die Wirklichkeit, die Rhetorik und die Ontologie für einander Metonymien sind, ist das Thema, das dieses Buch in den Bereich des Seienden einführen möchte. Dass die Realität entweder sich verbirgt, indem sie ihre Zerteilungen durch irgendein Interface der Wirklichkeit erlaubt, oder sie sich zeigt gleich einem Donner, der all die anwesenden Themen veranlasst, zerfallend zu zittern, ist das Thema, das dieses Buch mit seinem Teil des Nicht-Seienden bewahrt.

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eka-yoga-kṣema ist der sanskritische Ausdruck, auf den sich die Morse-Zeichen auf dem Cover beziehen, der diesem Buch der Leitbegriff ist: Zur Einheit werden (eka), indem sich all die Elemente aneinander jochen (yoga), um sich vor etwas zu schützen (kṣema); d.h. „die sich vereinende Deckung”. In den sanskritischen Dokumenten bedeutet dieser Ausdruck entweder den Entstehungsprozess einer Gemeinschaft, oder die Weise, wie ein Geist, gleich dem Wasser, das zunehmend etwas feuchtet, in einen Leib eintritt und ihn bewohnt, oder eine Hochzeit. Dem indischen Mythos nach sei die erste Hochzeit beschämend gewesen, weil es in jener Zeit für die Mehrheit der Vorfahren des Menschen noch nicht den Geschlechtsunterschied gegeben habe; sei ein sich verbindendes Paar gesehen worden, habe man ihm ein Stück Erde entgegengeworfen, und habe gesagt, „Geht weg! Verheimlicht euch besser!” Da alles auf der Erde in jener goldenen Zeit essbar gewesen sei, könnte ein aggressives Stück Erde nur schmeckend sein; dies sei der Ursprung von Konfetti — eine Transformation im Laufe der Zeit vom Attackieren ins Jubeln, von der Waffe zum Geschenk.​

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Im Bereich der Buddhismus-Studien wurde durch Prof. Lambert Schmithausen die Standard-Übersetzung vom eka-yoga-kṣema festgelegt als „sharing a single destiny”. Bilde ein, dass sich die Worte und die Papiere aneinander jochen, indem sie auf das eigene Geschick verzichteten und zusammen in die Spur eines Buches in der Welt eintreten, weil sie sich vor etwas schützen wollten, das jetzt gegenüber dem Buch ist – etwas, das nun in der Umwelt dieses Buches verweilt. Um diese Einheit zu bewahren, müssen die Worte und die Papiere verlernen, dass das Buch sie assimilierte; außerdem vergaßen die Worte, dass es innerhalb von ihnen eigentlich Stimmen und Geräusche gibt, und die Papiere vergaßen auch, dass es in ihrer grundlosen Tiefe das Paar der Formhaftigkeit und Formlosigkeit gibt. An dieser Stelle geht es um den Begriff der Gewalt, weil eine Welt begehrt wurde und gerade bewahrt werden soll. ​

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Die Gewalt besteht in einer formlosen Kraft, die manchmal in einer zu groben Weise als violence verstanden wird. „‚Dein Reich komme … (…) Dann bricht unser Begehren durch die Zeit hindurch, um dahinter die Ewigkeit zu finden. Das geschieht, wenn es uns gelingt, jedes vollbrachte, wie immer beschaffene Ereignis zu einem Gegenstand des Begehrens zu machen.” so macht Simone Weil ihre Andacht, mit der John Berger resoniert: „To find it – if one had the grace – it would only be necessary to lift up something as small and as at hand as a pebble or a salt-cellar on the table.” (John Berger, The Shape of a Pocket. S. 11) ​

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im Salzstreuer gibt es etwas, das an meine Fingerspitzen Signale tippt. Es wird wahrgenommen, als würde man in der eigenen Hand immer einen anderen Willen gewahren, wenn die Hand irgendetwas betastet; um einen Willen noch einmal wahrzunehmen, berührt die Hand nun ein Buch, das eine Deckung ist, in der die Worte – die Stimmen und die Geräusche – von ihrer ursprünglichen Spur abwichen und hier die Signale vernehmen, die die Umwelt an der Wand stets tippt: ​

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Ein herumwandernder Verband ​ ​

von Silberfischen im Quecksilber öffnet ihre Blindaugen. ​

Ein Druck, namenlos, überquerte ihre Seitenlinie. ​

Prägen. Gestalten. Eine erbetene Inkarnation​

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„Vom Fluchtpunkt zurückgekehrt…” so verstehe ich die Position dieses Buches, das meine Worte versammelte und sie zum Ort bringt, wo eine Gewalt darauf wirkt, das Schicksal der Worte anzuhalten, weil eine Welt begehrt wird –​

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Verlasse mich.​

Trage im Regen die durchschnittlichen Töne.​

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Ich danke Dincer, Herrn Wolfgang Schiffer, Herrn Thorsten Krämer und dem ELIF; aufgrund Ihrer Hilfen hat dieses Buch nun an der Wirklichkeit teil. Ich danke Armin und Christel Steigenberger, Herrn Kristian Kühn, Frau Pega Mund, Frau Martina Hefter und Frau Dr. Pia-Elisabeth Leuschner für Ihre warmen Ermutigungen. Zum Schluss möchte ich gerne meinen Dank an Marc Nürnberger und Elmar Oberfrank ausdrücken; viele Dinge/Gedanken/Stimmen/Geräusche in diesem Buch sind inmitten unserer Unterhaltungen zum ersten Mal aufgetaucht.

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Ich danke Frau Monika Vasik und Frau Kerstin Fischer für die Rezensionen.

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